15.10.2019: Sexarbeiter*innen & Friends protestieren gegen Bestrebungen von Bundestagsabgeordneten ein "Sexkaufverbot" einzuführen. Foto: Friederike Strack

Feministische Thesen zu Sexarbeit

Wie hängt die Stigmatisierung von Sexarbeit mit der gesellschaftlichen Missachtung von Care-Arbeit zusammen? Warum ist die Emanzipation nicht geschafft, solange „Hure“ ein Stigma bleibt? Was bedeutet der Dualismus von Heilige und Hure für das Selbstbestimmungsrecht aller Mädchen* und Frauen*? Was hat das mit Rassismus zu tun?

Zu diesen Fragen, hat die feministische Gruppe MariaMagdalena4ever Thesen formuliert. MariaMagdalena4ever ist eine Gruppe von Frauen*, mit und ohne Erfahrung in der Sexarbeit, die sich aus feministischer Perspektive gegen die Stigmatisierung von Sexarbeit engagieren. In Workshops bei Strich / Code / Move hatten wir die Gelegenheit unsere Thesen vorzustellen und zu diskutieren. Es hat uns sehr gefreut, dass sie viel Zustimmung fanden.

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für die offenen, spannenden Debatten und dokumentieren hier die Thesen:

 

Unsere Position ist klar: wir solidarisieren uns mit den Kämpfen von Sexarbeiter*innen. Dabei sind unsere Auseinandersetzungen mit dem Thema Sexarbeit noch nicht zu Ende. Wir wollen alle Interessierten einladen mit uns zu diskutieren und zusammenzuarbeiten.

 

Folgende Thesen stellen wir Euch vor:

  • Der Zusammenhang von gesellschaftlicher Missachtung von Sex- und Care-Arbeit
    Wenn Sexarbeit nicht als Arbeit gesehen wird, setzt dies Sex ohne Dienstleistungsverhältnis damit als Norm – dahinter vermuten wir die Vorstellung oder der Wunsch, Sex solle im Idealfall „aus Liebe“ geschehen und wie alle anderen Reproduktionstätigkeiten, von Frauen umsonst erledigt werden. (Damit wollen wir nicht sagen, dass Sex oder andere Reproduktionstätigkeiten generell Dienstleistungen sind. Reproduktionstätigkeiten können auch mit Lustgewinn für alle Beteiligten verbunden sein. Im privaten Bereich wird im Sex – ebenso wie bei anderen Reproduktionstätigkeiten – genau diese Frage implizit oder explizit immer wieder neu ausgehandelt.) Idealtypisch im Patriarchat sollen Frauen Kinder bekommen und diese aufziehen und aus Liebe unbezahlt ihre soziale Reproduktionsarbeit zur Verfügung stellen. Die Probleme aufzufangen die marktwirtschaftlich nicht gelöst werden und für die der Staat nicht aufkommen will (Care-Lücken, Kinderbetreuung, Pflege…) gehört auch dazu: Frauen* bilden den Kitt der Gesellschaft, indem sie durch unbezahlte, soziale Reproduktionsarbeit für die Angehörigen sorgen, Beziehungsarbeit leisten und für die Moral zuständig sind. Lebensentwürfe die selbstbestimmt und freizügig die moralischen Schranken der bürgerlichen Gesellschaft durchbrechen, unterlaufen diese Form von Arbeitsteilung.

 

  • Solange „Hure“ ein Stigma bleibt, ist die Emanzipation nicht geschafft.
    Die Positionen oder Rollenangebote für Mädchen und Frauen sind zwar vielfältig, die Bewertung ihres Handelns – nicht nur seitens von Männern, sondern auch von Frauen – orientiert sich jedoch an zwei Polen: Der Heiligen und der Hure. Beide Pole sind mit einschränkenden oder herabwürdigenden Zuschreibungen verbunden – auch Frauen, die nicht als Prostituierte arbeiten, sind davon betroffen. Die Auswirkungen treffen aber nicht nur Frauen, sondern alle Menschen, die den Konstrukten bürgerlicher Moral von Heteronormativität, Monogamie und geschlechtlichen Zuschreibungen nicht entsprechen.
    Der Dualismus von Heilige und Hure ist ein Kernelement von geschlechtsspezifischer Sozialisation, mit dem alle Mädchen* und Frauen* in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden.
    Mit der Drohung von sexualisierter Gewalt wächst jede Frau auf. Mädchen und Frauen wird eingetrichtert, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, indem sie sich nicht wie eine „Hure“ verhalten.
    Obwohl sich bereits einiges seit der 2. Frauenbewegung und der Studentenbewegung verändert hat, ringen vor allem Frauen* nach wie vor mit gesellschaftlichen Anforderungen entweder zu sexy oder nicht sexy genug zu sein: Die Pop-Musikerin darf nackt sein. Die Sekretärin muss geschminkt sein.
    Hingegen: Eine offensive Sexualität zu leben, wechselnde Partner*innen zu haben, sexuell fordernd zu sein, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder der Sexarbeit nachzugehen, bleiben tabuisiert.

 

  • Gewalt gegen Frauen* ist ein strukturelles Phänomen.
    Prostitutionsstätten vorwiegend als Orte von Druck, Zwang und sexualisierter Gewalt darzustellen, verschleiert die Realität: Diese Gewaltformen sind in allen gesellschaftlichen Bereichen zu finden und müssen genau dort bekämpft werden, wo sie auftreten. Patriarchale Unterdrückungsstrukturen vornehmlich in der Sexarbeit zu verorten, dient nur der weiteren Ausgrenzung von Sexarbeiter*innen und gleichzeitig der Ablenkung von strukturellen Machtverhältnissen, in denen sexualisierte Gewalt tatsächlich stattfindet.

 

  • Zusammen im Kampf gegen Rassismus
    Migrantinnen*sind Rassismus und Stigmatisierungen ausgesetzt. Ihnen werden nicht die vollen Rechte, wie Arbeitsrechte, gewährt. Druck und Ausbeutung, insbesondere in der Sexarbeit von Migrantinnen zu suchen, verschiebt den Blick weg von den Ursachen und Auswirkungen globaler Ausbeutung und Lohngefälle und den daraus resultierenden Abhängigkeiten. So wird Sexarbeit paternalistisch und rassistisch umgedeutet. In der Sexarbeit können Knebelverträge und Menschenhandel vorkommen, wie in anderen Branchen (Landwirtschaft, Fleischproduktion, Baugewerbe) auch, und als solche Verbrechen sind sie zu bekämpfen. Diese Verbrechen argumentativ dafür zu nutzen, Sexarbeit an sich als kriminell darzustellen, ist falsch und diskriminierend.

Als Feministinnen kämpfen wir gemeinsam für Respekt, gleiche Rechte, bessere Arbeitsbedingungen und gegen Rassismus in der Sexarbeit und überall.

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